Ein Wiedersehen im Schloss mit ... Edilia Gänz

Edilia Gänz studierte von 2008 bis 2011 Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach Praktika bei Homburg & Partner und A. T. Kearney übernahm sie von 2010 bis 2012 die PR & Marketing-Leitung bei den Mannheimer Philharmonikern. 2014 initiierte die 25-jährige Wahl-Pariserin im Auftrag der AROP, dem Förderverein der Pariser Oper, und anderen europäischen Kulturinstitutionen die Organisation „FEDORA - The European Circle of Philanthropists of Opera and Ballet“. Als Direktorin von FEDORA ist sie für den Aufbau eines europäischen Kulturnetzwerkes verantwortlich. Mit Vivian Weitz von ABSOLVENTUM sprach sie in der Pariser Oper über neue Perspektiven in der Kulturbranche und ihre Bedeutung für das Leben in modernen Städten.



Blassgelb sind die Wände des Künstlereingangs der Pariser Oper, die Farbe blättert an vielen Stellen ab. Alte Holzdielen knarren und ächzen unter dem Gewicht darüber eilender Menschen. „Aber für ein Bonjour ist immer Zeit“, sagt Edilia Gänz, während sie entschlossen an schweren Holztüren vorbei in Richtung Opernhaus läuft. Bereits als Studentin an der Universität Mannheim verbrachte sie ein Auslandssemester in der Millionenstadt Paris. Heute hat sie hier ihre Wahlheimat gefunden. Durch ein Labyrinth von Gängen, Treppen und Türen hindurch offenbart sich nach einigen Minuten das, was jährlich Millionen Touristen ins neunte Arrondissement von Paris zieht: die Vorhalle des Palais Garniers.
Kunstvoll gearbeitete Stein-Ornamente ranken sich an Wänden hinauf zu Deckengemälden und goldenen Kronleuchtern, die den Raum in warmes Licht tauchen. Wo sich einst schon Gaston Leroux zu seinem Meisterwerk „Das Phantom der Oper“ inspirieren ließ, zieht heute ein leichter Wind – die Fenster sind undicht. „Die Pariser Oper ist ein Spiegel der Gegensätze: Prunk und Opulenz treffen auf Funktionalität und Zweckmäßigkeit, Schnelllebigkeit und Zeitdruck auf Traditionsbewusstsein und Genuss“, nach Meinung von Gänz ein Phänomen, das für Kunst und Kultur im Allgemeinen bezeichnend ist. „Tradition und Innovation können nie vollständig voneinander getrennt sein. Ich empfinde Kunst und Kultur als eine Art Katalysator für das Leben in modernen Gesellschaften. Sie vereinen nicht nur Vergangenheit und Gegenwart, es gibt immer auch eine visionäre Komponente“, sagt sie. Mit einem leisen Nachhallen scheinen die Jahrhunderte alten Wände ihr zuzustimmen.

Paris ist als kultureller Standort schon lange etabliert. „Aber auch abseits ‚kultureller Hochburgen’ werden interessante und anspruchsvolle Stücke geplant“, sagt Edilia Gänz. Um kreative Synergien, die zwischen Standorten entstehen können, zu nutzen, hat sie 2014 gemeinsam mit Jérôme-François Zieseniss und Jean-Yves Kaced im Auftrag des Fördervereins der Pariser Oper und anderen europäischen Kulturinstitutionen die Organisation „FEDORA – The European Circle of Philanthropists of Opera and Ballet“ ins Leben gerufen: „Mit FEDORA verfolgen wir das Ziel, ein europaweites Netzwerk der Philanthropie zwischen Opernhäusern, Festivals, Fördervereinen und Sponsoren zu schaffen.“ Die FEDORA-Direktorin arbeitet gemeinsam mit ihrem Team an vielfältigen Maßnahmen, um aufstrebende Künstler zu unterstützen. „Es geht uns dabei um neue Opern- und Ballettwerke, die in Form von länder- und genreübergreifenden Co- Produktionen realisiert werden.“

Bereits vor 20 Jahren rief der bedeutende Komponist und Opernhausdirektor Rolf Liebermann zur Förderung junger Künstler auf. Heute soll seine Vision im großen Stil mit neuen Ideen weiterentwickelt werden. Ideen, wie den jährlichen FEDORA-Preisverleihungen für neue Opern- und Ballettproduktionen. Unter den diesjährigen Gewinnern war beispielsweise das Opernprojekt „Private View“, eine Gemeinschaftsproduktion von kulturellen Institutionen aus Antwerpen, Bergen, Rotterdam, Berlin, Brügge und Luxemburg. Den „FEDORA – Van Cleef & Arpels Preis für Ballett“ erhielt „The Sleeping Beauty“, umgesetzt vom Teatro alla Scala in Mailand und dem American Ballet Theatre in New York. Die FEDORA Preise sind mit bis zu 150.000 Euro dotiert.

Neben dem Ruf nach neuen kreativen Ansätzen in der Kulturförderung wachse auch zusehends die Nachfrage nach Fachkräften in Kunst und Kultur, erklärt Edilia Gänz: „Für die Arbeit in meiner Branche braucht es neben Fachwissen vor allem eins – Fingerspitzengefühl. Man muss seinen persönlichen Zugang zu Themen finden und sich auf die Materie einlassen können.“ Gänz war und ist selbst leidenschaftliche Ballett-Tänzerin. Schon in jungen Jahren war für sie klar, dass ihr beruflicher Weg sie zu Kunst und Kultur führen würde. „Ich hatte schon früh ein ausgeprägtes kulturelles Interesse, aber mir war es immer wichtig, auch fundierte Kenntnisse der Betriebswirtschaftslehre zu erlangen. Deswegen entschied ich mich für ein BWL-Studium in Mannheim.“ Gerne blickt sie heute auf die Zeit an ihrer Alma Mater zurück, der sie noch immer durch das Alumni-Netzwerk ABSOLVENTUM verbunden ist und begrüßt die Entwicklungen in Forschung und Lehre: „Der Bachelor Kultur und Wirtschaft bietet eine wunderbare Plattform für Studierende, die zum Beispiel eine Karriere im Kulturmanagement anstreben.“ Mit dieser Verbindung von betriebswirtschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Studiengängen nehme Mannheim in Deutschland eine Vorreiterrolle ein.

Große Ambitionen zu haben, im Team zu arbeiten und Mut für Veränderungen aufzubringen – auch das habe sie während ihrer Mannheimer Studienzeit gelernt. Eigenschaften, die sie für ihr Vorhaben, ein europäisches Netzwerk der Kulturphilanthropie aufzubauen, braucht. „Nur so können wir Menschen erreichen und für Kultur begeistern“, sagt sie und wirft durch die Glasfront der Oper einen kurzen Blick auf die Galeries Lafayette auf der gegenüberliegenden Straßenseite – eines der größten und ältesten Kaufhäuser in Paris, welches wie ein massiver Felsen über die Dächer der Stadt ragt. Ein Hang zum Konsum werde modernen Großstädten nachgesagt, erklärt Gänz. Vor den Toren von Paris plane die Stadt zurzeit das Projekt „Europa City“: Ab 2025 soll ein gigantischer Baukomplex aus 500 Geschäften, dutzenden Hotels und Europas größter Indoor- Skihalle Menschen in die Metropole locken. Ist da noch Platz für Kultur? „Modernes Leben in modernen Städten, das bedeutet für mich, diese Phänomene nicht gegeneinander auszuspielen oder der Kultur Aufgaben abzuverlangen, die sie de facto nicht leisten kann. Ich denke, dass Städte von solchen Spannungen leben und sie zum Fortschreiten gesellschaftlichen Lebens dazugehören“, sagt Gänz und lächelt gelassen einer Gruppe Touristen zu, die sich heute für die Pariser Oper entschieden hat.

Autorin: Vivian Weitz I Fotos: Sara Schmitt I April 2015